Auf dem Hanggelände unterhalb der Straße "Schöne Aussicht" wurden von
Oktober 1942 bis Kriegsende mehrere Hundert Opfer der NS-"Euthanasie"
begraben. Die Toten waren Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die im Kalmenhof,
einer "Heil- und Pflegeanstalt", durch gezielte Vernachlässigung oder
Medikamente ermordet wurden.
Um Angehörige und Öffentlichkeit über die Morde zu täuschen, wurde für die
Opfer ein Gräberfeld angelegt, das den Anschein eines gewöhnlichen
Anstaltsfriedhofs haben sollte. Es befand sich hinter dem damaligen
Kalmenhof-Krankenhaus, das von den Täterinnen und Tätern unter dem Tarnbegriff
"Kinderfachabteilung" als Tötungsort missbraucht wurde. Die
Grabstätten waren durch Nummernschilder gekennzeichnet, damit der Eindruck von
Einzelgräbern entstand. In Wahrheit jedoch waren viele Gräber mit mehreren
Toten belegt.
Die Nummernschilder, die Anfang der 1950er Jahre noch zu sehen waren, wurden
später beseitigt. Ein Teil des Geländes verwilderte, ein anderer wurde durch
Baumaßnahmen stark umgestaltet. Die genaue Lage des Friedhofs und seine
Ausdehnung gerieten in Vergessenheit.
Der Hang unterhalb der Schönen Aussicht ist in Stufen gegliedert. Auf einer
Stufe in mittlerer Hanglage wurde 1982 seitens des Landeswohlfahrtsverbands
eine Probegrabung des Volksbunds veranlasst. Nach der Erinnerung eines
ehemaligen Bewohners des Kalmenhofs, der die Ermordeten hatte begraben müssen,
sollten sich an dieser Stelle Gräber befinden. Tatsächlich wurden bei der
Grabung in 1,40 Metern Tiefe die Gebeine von zwei Kindern entdeckt.
Die untersuchte Hangstufe war damit als Teil des Gräberfelds am
Kalmenhof-Krankenhaus erwiesen und wurde zur Kriegsgräberstätte erklärt. 1987
wurde hier ein Mahnmal für die Ermordeten eingeweiht. Wie groß das Gräberfeld
insgesamt gewesen war, wurde nicht zu ermitteln versucht. Angaben von
Zeitzeugen legen jedoch nahe, dass sich der Friedhof noch über andere Bereiche
des Hangs erstreckt hatte. Auch ist die Grundfläche der Kriegsgräberstätte zu
klein, als dass die historisch bezeugte Anzahl von rund 280 mit
Nummernschildern markierten Grabstätten auf ihr Platz gefunden hätte.
Ein Forschungsprojekt im Auftrag von Vitos Rheingau, der heutigen
Betreibergesellschaft des Kalmenhofs, wurde 2018 mit der Vermutung
abgeschlossen, dass im Hanggelände oberhalb der Kriegsgräberstätte weitere
"Euthanasie"-Opfer begraben seien. Im Juli 2019 wies eine
Georadar-Untersuchung im Untergrund der infrage kommenden Flächen zahlreiche
Anomalien nach, die als Spuren von Eingriffen in den Boden, etwa bei der Anlage
von Gräbern, interpretiert werden konnten. Eine Klärung der Frage brachten
jedoch erst die Feststellungsgrabungen im Sommer 2020. Dabei wurden trotz
intensiver Suche keine Spuren weiterer Bestattungen außerhalb der
Kriegsgräberstätte gefunden. Die bei der Georadar-Untersuchung aufgefallenen
Anomalien erwiesen sich als natürliche Strukturen im felsigen Boden des
Geländes. Für 2021 sind nochmals Grabungen an den Rändern der Gräberstätte
selbst geplant, deren Gesamtausdehnung dabei abschließend bestimmt werden soll.
Deutschland
Idstein-Kalmenhof
Gesamtbelegung: 353 Tote
Gesamtbelegung: 353 Tote
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